"American Gods"
Irrer Einblick in die Götterdämmerung
"American Gods" ist in aller Munde und das zurecht. Bryan Fullers Inszenierung der bizarren, blutigen Götterdämmerung von Neil Gaimans Roman zeigt uns eine düstere Welt, in der die Götter vor nichts zurückschrecken, um den Glauben der Menschen zu erhalten. Alte Götter ziehen gegen Neue Götter in den Krieg - kann es dabei überhaupt Gewinner geben?
Shadow Moon (Ricky Whittle, "The 100") ist nicht dieser typische Held, der einem in TV-Serien begegnet, das merkt man gleich in den ersten Minuten von "American Gods". Um ehrlich zu sein: Man möchte nur ungern mit ihm tauschen. Nicht nur wegen des Namens, der eher danach klingt, als hätte ein Kind einen Namen für einen Hamster ausgewählt. Shadow ist ein Krimineller, der wegen eines geplatzten Raubüberfalls auf ein Casino im Gefängnis gelandet ist. Nun ereilt ihn die freudige Nachricht, dass er - wenn auch nur wenige Tage - früher entlassen wird. Freudensprünge bleiben aus, denn die Entlassung hängt mit einem unglücklichen Zwischenfall zusammen.
Kein Glück für Shadow Moon
Noch bevor Shadow Moon einen Fuß in Freiheit setzen kann, erfährt er, dass seine große Liebe, Laura Moon (Emily Browning, "Sucker Punch") bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Das Gefängnis entlässt ihn früher, damit er an ihrer Beerdigung teilnehmen lässt. Was nach einem tragischen Ende einer Liebesgeschichte klingt, kommt in Kombination mit einer großen Portion schwarzem Humor daher, das die Stimmung von "American Gods" gleich zu Beginn gut einfängt: Als der tödliche Autounfall passierte, befriedigte Laura Moon gerade ihre Affäre Robbie oral im Wagen. Autsch. Leider bleibt das nicht die letzte bittere Erfahrung, die Shadow Moon machen muss. Immerhin geht seine Geschichte jetzt erst richtig los.
Der mysteriöse Mr. Wednesday
Auf dem Weg zu Lauras Beerdigung hat Shadow Moon eine Bekanntschaft geschlossen, die wortwörtlich sein Leben verändern wird. In einer ominösen Bar trifft er auf den noch ominöseren Mr. Wednesday (Ian McShane, "Deadwood"), der Shadows verzwickte Lage zu erkennen scheint und ihm ein Job-Angebot als Bodyguard macht. Shadow Moon stimmt zu, ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt. Und vor wem Mr. Wednesday eigentlich beschützt werden muss. Stück für Stück taucht er in eine fremde, irre Welt ein, die so farbenfroh und krass ist, dass es sich manches Mal wie ein wahrer Rauschzustand anfühlt.
Ein waschechter Gott
Das Geheimnis von Mr. Wednesday wird ganz nebenbei enthüllt: Der ältere Mann ist - der Titel lässt es bereits erahnen - in Wahrheit ein Gott und niemand geringerer als Göttervater Odin selbst. Während Shadow Moon es nicht sofort begreift, merkt der Zuschauer wesentlich schneller, wer da eigentlich im Wagen des Ex-Häftlings hockt. Immer wieder regnet es Anspielungen, der Name "Wotan" fällt, die beiden Raben Odins mischen mit - ein kleines bisschen kann man dann doch nur mit dem Kopf schütteln, wenn Shadow Moon im Finale der 1. Staffel "American Gods" seinen Augen kaum trauen kann, als sich Mr. Wednesday offiziell als Odin outet. Ach, Shadow.
Meine Frau, der Zombie
Ein kleines bisschen kann man es ihm aber auch verzeihen, denn da gibt es noch eine andere Sache, die Shadow durch den Kopf spukt: Ehefrau Laura Moon. Ja, die ist tot. War tot. Ist es streng genommen noch immer. Auf jeden Fall steht sie eines Tages plötzlich als wandelnde Leiche vor Shadow Moon. Sie ist kein Zombie, wie man sie aus Serien wie "The Walking Dead" kennt, der brabbelnd "Braaains!" ruft. Eigentlich würde man sie auf den ersten Blick sogar für eine normale, lebende Frau halten. Wäre sie nicht eiskalt, würde nach Verwesung stinken, von Fliegen verfolgt werden und hätte einen Arm verloren. Eine verzauberte Goldmünze, die Shadow Moon auf Lauras Grab hinterlassen hat, hat die untreue Ehefrau zurück ins Leben geholt. Ein Problem mehr für Shadow Moon. Oder hilft sie ihm am Ende bei all dem Götterwahnsinn?
Neu vs. Alt
Bleibt noch die Frage, wovor Mr. Wednesday eigentlich beschützt werden muss. "American Gods" führt uns langsam in die Welt der Götter ein. Wir lernen sie kennen - den mexikanischen Jesus, den weißen Jesus, Ostara, Anubis & Co - und erfahren, dass es zwei Lager gibt: Die Alten und die Neuen Götter buhlen gemeinsam um den Glauben der Menschheit. Denn nur an wen die Menschen glauben, der kann auch überleben. Und wer glaubt in unserem Zeitalter noch an den alten Odin? Andere Götter wurden erschaffen, darunter auch Technical Boy (Gott der Technologie) und Mr. World (personifizierte Globalisierung). Die Neuen Götter beanspruchen die Macht für sich alleine und wollen die alten Götter vollständig von der Bildfläche verdrängen. Doch die Alten wollen sich nicht so schnell geschlagen geben.
Die Suche nach Verbündeten
Mr. Wednesday macht sich daher mit Shadow Moon auf den Weg quer durch Amerika, um Götter zu rekrutieren, die mit ihm den Krieg gegen die Neuen Götter ziehen sollen. Doch das stellt sich alles andere als einfach heraus. Denn auch die Neuen Götter haben bereits begonnen, Verbündete auf ihre Seite zu ziehen. Doch kann es bei einem Krieg von diesem Ausmaß überhaupt Gewinner geben? Die Antwort darauf erhalten wir wohl erst in der 2. Staffel "American Gods", die bereits in Arbeit ist. Wer sich die Zeit bis dahin versüßen will, kann einen Blick auf die Romanvorlage von Kult-Autor Neil Gaiman werfen, der den Krieg der Götter 2001 auf Papier gebannt hat.
Dank Fuller eine Augenweide
Für die Serien-Adaption seiner Geschichte konnte STARZ Bryan Fuller und Michael Green gewinnen. Fuller steckte bereits hinter der farbenprächtigen Serie "Hannibal", bei der man nie wusste, ob man sich jetzt die Augen zuhalten oder den Anblick genießen sollte. Der 48-Jährige hat schon in der Erzählung des fiktiven Kannibalen bewiesen, dass er ein Talent dafür besitzt, grausame Momente mit einer künstlerischen Schönheit festzuhalten, bei der Cinephile begeistert nach Luft schnappen.
Tarantino lässt grüßen
Den Stil, den er in "Hannibal" gewählt hat, setzt er zum Teil auch in "American Gods" fort. Hin und wieder denkt man dann auch an Kult-Regisseur Quentin Tarantino, wenn eimerweise Blut bei einer Schlacht spritzen und Körperteile durch die Luft segeln. Tarantino-Fans werden bei derartigen Szenen definitiv auf ihre Kosten kommen, doch mit Sicherheit werden nicht alle an dieser überspitzten Darstellung ihren Gefallen finden. Ebenso wie an der Erzählstruktur der Geschichte, die an manchen Stellen ein bisschen langatmig wirken kann.
Der einzige Makel
Fuller nimmt sich Zeit, die verschiedenen Götter ausgiebig vorzustellen. Fast in jeder Episode dürfen wir zu Beginn einen Blick in die Vergangenheit werfen und erfahren, wie einzelne Götter damals an die Macht kamen, wie es ihnen im Laufe der Zeit ergangen ist oder was sich in der Gegenwart für sie geändert hat. Das sind wichtige Passagen in der großen Welt von "American Gods", die keinesfalls fehlen dürfen. Trotzdem wirken sie wie Stolpersteine und hindern eine flüssige Erzählstruktur für die Gegenwarts-Geschichte. Nach einem spannenden Cliffhanger will man wissen, wie es in der nächsten Episode für Shadow Moon weitergeht. Stattdessen bekommt man eine zusammenhangslose Geschichtsstunde oder ausführliche Momentaufnahmen.
Kleine Stolpersteine
Wie gesagt: Diese Szenen sind spannend und wichtig, aber sie werfen uns in eine komplett andere Welt. Es fühlt sich ein bisschen so an, als wolle man einen Roman lesen und bei jedem kleinen Fachbegriff taucht plötzlich jemand auf und liest einem die gesamte Erklärung in einem Lexikon vor. Die zuvor aufgebaute Stimmung geht kurzzeitig flöten und muss dann erst wieder aufgebaut werden. Das ist ein kleines Übel, das man aber jederzeit in Kauf nimmt, denn umso mehr punktet "American Gods" mit einer Geschichte, die es so noch nicht gab.
Dieser Cast kann sich sehen lassen
In Zeiten, in denen sich Reboots, Sequels und Prequels mehren und man das Gefühl hat, die gleiche Geschichte zum fünften Mal zu sehen, bringt "American Gods" viel frischen Wind mit sich. Vor allem das Finale der 1. Staffel macht mächtig Lust auf die Fortsetzung. Hinzu kommt ein hochkarätiger Cast, der Film- und Serien-Fans begeistern wird. Ricky Whittle (Shadow Moon) wurde einem breiten Publikum vor allem durch die Serie "The 100" bekannt. Emily Browning wurde durch diverse Hollywood-Filme bekannt, darunter "Sucker Punch", "Pompeii" und "Lemony Snicket - Rätselhafte Ereignisse". Unter den Darstellern der Götter finden sich außerdem Ian McShane ("Deadwood", "Game of Thrones"), Pablo Schreiber ("Orange Is The New Black"), Peter Stormare ("Prison Break", "Fargo"), Kristin Chenoweth ("Pushing Daisies", "Schräger als Fiktion"), Gillian Anderson ("Hannibal", "Akte X") und Crispin Glover ("Zurück in die Zukunft", "Alice im Wunderland").
Auf diese Abwechslung haben wir gewartet
"American Gods" bringt sehnlich erwartete Abwechslung in der Serienlandschaft und bietet den Zuschauern ein bildgewaltiges Abenteuer, das an herrlich bizarren Momenten kaum zu übertreffen ist. Über die kleinen Makel sieht man da gerne hinweg. Alle, die in letzter Zeit genug vom Einheitsbrei auf dem Bildschirm hatten, sollten dringend einen Blick auf "American Gods" werfen und sich von der schrillen, mythischen Welt in den Bann ziehen lassen.
So könnt ihr "American Gods" sehen
Die DVD mit der kompletten 1. Staffel (insgesamt acht Episoden) gibt es inklusive reichlich Zusatzmaterial seit dem 27. Juli 2017 im Handel. Sowohl auf Standart Blu-ray oder der exklusiven Blu-ray im Steelbook, die nur auf Amazon erhältlich ist. Kunden von Amazon Prime können die Serie kostenlos online sehen oder als Video On Demand erwerben. Wem das nicht ausreicht, der kann auch einen Blick in die Romanvorlage "American Gods" von Neil Gaiman werfen. Diesen Serien-Neuzugang solltet ihr euch auf jeden Fall nicht entgehen lassen.
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